50 Jahre ITH in der Sicht eines Wegbegleiters
Abstract des Vortrages von Günter Benser auf der Sitzung der Historischen Kommission vom 1. März 2014
Formal betrachtet, handelt es sich bei der ursprünglich Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (ITH) benannten Organisation um einen gemeinnützigen Verein mit Sitz in Wien. 1981 wurde ihm von der UNESCO der Status B einer weltweit vertretenen nicht-regierungsabhängigen Organisation (NGO) zuerkannt. Ihr Bekanntheit verdankt die ITH - inzwischen hat sich die englische Bezeichnung International Conference of Labour and Social Historians eingebürgert - den von ihr alljährlich in Linz durchgeführten wissenschaftlichen Konferenzen mit internationaler Beteiligung.
Ihre exklusive Rolle erlangte die ITH, weil sie zu Zeiten des kalten Krieges die einzige Vereinigung war, die alljährliche Treffen von Historikern der Arbeiterbewegung aus den beiden sozialökonomischen und politischen Weltlagern bzw. der sozialdemokratischen und der kommunistischen Strömung ermöglichte und die wissenschaftliche Streitkultur beförderte. So überstand sie auch die durch das Debakel des "Realsozialismus" verursachte Umbruchszeit. Ihr gelang eine neue Sinnfindung, indem sie einerseits die Überwindung des Eurozentrismus ansteuerte und sich globalen Fragestellungen und entsprechend erweiterter internationaler Beteiligung öffnete, andererseits indem sie die Geschichte der Arbeiterbewegung durch eine weitergefasste Sozialgeschichte mit bis dahin vernachlässigten Themen ergänzte. Allerdings ließ sich das Aufgreifen modernen Forschungstrends nur unter Vernachlässigung der Ursprungsbestimmung der ITH "Geschichte der Arbeiterbewegung" bewerkstelligen, was manche langjährigen Teilnehmer der Linzer Konferenzen mit gewisser Besorgnis registrierten.
Im Unterschied zu der vor allem in der deutschen Bundesrepublik üblichen Praxis setzte die ITH in der "Wendezeit" nicht auf Ausgrenzung bisheriger Partner. Gleichwohl befasste sie sich mit "weißen Flecken" in der Historiografie und mit Geschichtsfälschungen, was begründet auf eine Auseinandersetzung - von mancher Seite auf eine regelrechte Abrechnung - mit der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung hinauslief. Hingegen blieb auch in der Folgezeit die Rolle sozialdemokratischer Historiker zu Zeiten des kalten Krieges ausgeblendet.
Die auf den Linzer Konferenzen vorgetragenen, größten Teils in Protokollbänden veröffentlichten Referate belegen, dass der wissenschaftliche Ertrag der Linzer Tagungen groß und überwiegend von bleibendem Wert ist. Hatten in den ersten Jahrzehnten vor allem die politische und die Organisationsgeschichte der Arbeiterbewegung im Vordergrund gestanden, so verlagerte sich in den letzten Jahrzehnten das Interesse auf weitergreifende sozialgeschichtliche und sozialpsychologische Fragestellungen. Dabei standen meist auch methodologische Probleme zur Diskussion, anfangs mit eigenen Tagesordnungspunkten, später meist integriert in Sachthemen.
Hervorzuheben ist das hohe Engagement der ITH, als es darum ging, die an die regierenden kommunistischen Parteien der Ostblockstaaten gebundenen Archive und Bibliotheken zu erhalten, in neue Strukturen zu überführen und der Forschung möglichst ohne Nutzungsbeschränkungen zugängig zu machen. Verständlicherweise richtete sich dabei die Aufmerksamkeit besonders auf das in Moskau befindliche Archiv der Kommunistischen Internationale.
Erfreute sich die ITH zu Zeiten der Systemauseinandersetzung und in den Jahren der "Wende" großen Interesses der österreichischen, zu einem gewissen Grade auch der internationalen Öffentlichkeit und entsprechender ideeller und materieller Unterstützung, so kann zu Zeiten des neoliberalen roll back davon keine Rede mehr sein. Die Fortexistenz der ITH ist wie so vieles im Bereich von Kultur und Wissenschaft zu einer Geldfrage geworden. So bleibt uns nur zu wünschen, dass die existenziellen Probleme der ITH gemeistert werden können und uns diese Begegnungsstätte linker Historiker noch lange erhalten bleibt.
Die ausführliche Text dieses Vortrages erscheint in Nr. 2014/II des JahrBuchs für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung - ISSN 1610-093X.