Die Historische Kommission der LINKEN in der ITH
Ein kurzer Bericht - Von Jürgen Hofmann
In diesem Jahr blicken wir auf ein halbes Jahrhundert der Existenz der Internationalen Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungungen zurück. Die unter dem Kürzel ITH oder inzwischen auch unter der englischen Bezeichnung International Conference of Labour and Social History bekannte Konferenz geht auf eine österreichische Initiative zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Ende der 1950er Jahre zurück, die 1964 in Wien eine wissenschaftliche Tagung zum 100. Jahrestag der Gründung der Ersten Internationalen Arbeiterassoziation einberief. Hier entstand die Idee den Meinungsaustausch mit anderen europäischen Partnern zu verstetigen. Zu diesem Zweck wurde ein Verein mit Sitz in Wien gegründet. Die Tagungen wurden jedoch bald nach Linz in Oberösterreich verlegt und firmieren seither als Linzer Konferenzen.
Die Historische Kommission beim Parteivorstand der LINKEN übernahm mit ihrer Berufung im August 2007 die bestehende ITH-Mitgliedschaft der Historischen Kommission der Linkspartei. Sie ist gegenwärtig mit Jürgen Hofmann im Kuratorium (dem erweiterten Vorstand) vertreten. Mit Bernd Hüttner und Mario Kessler gehören zwei weitere Mitglieder der Historischen Kommission dem Internationalen wissenschaftlichen Beirat an. Die jährlichen Konferenzen der ITH in Linz sind ein wichtiges Forum des internationalen wissenschaftlichen Austauschs und der Kontaktpflege zu Themen, die im weitesten Sinne zum Erbe linker Bewegungen und damit auch zum Erbe- und Traditionsverständnis der Partei DIE LINKE gehören. Auf der Grundlage einer langjährigen zuverlässigen Zusammenarbeit konnte sich die Historische Kommission der LINKEN einen Platz als respektiertes und anerkanntes Mitglied der ITH erarbeiten. Sie ist eines von dreizehn institutionellen Mitgliedern der ITH in Deutschland und mehr als 80 in aller Welt.
Schließen wir die Mitarbeit der Historischen Kommission der PDS und der Linkspartei in die Betrachtung ein, so sind es inzwischen bereits mehr als zwei Jahrzehnte der 50jährigen Geschichte, die wir begleitet und gemeinsam mit Partnern teilweise auch gestaltet haben. Die Historische Kommission der PDS übernahm 1992 die Mitgliedschaft in der ITH vom Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung, dem vormaligen IML (Institut für Marxismus-Leninismus). Günter Benser, der Direktor des Instituts, und Lutz Priess, zu diesem Zeitpunkt Sekretär der Historischen Kommission, organisierten in Absprache mit dem damaligen ITH-Vorstand diesen Übergang der Mitgliedschaft, da das Institut abgewickelt wurde und die Mitgliedschaft nicht mehr wahrnehmen konnte. In den Folgejahren waren es zunächst Günter Benser und Jürgen Hofmann, die den Kontakt zur ITH pflegten und als regelmäßige Teilnehmer und Diskutanten der Linzer Konferenzen Vertrauen erwarben. Jürgen Hofmann wurde 1996 in den Internationalen wissenschaftlichen Beirat der ITH und 2005 in das Kuratorium gewählt.
Der Zusammenbruch des "Realsozialismus" machte es in den 1990er Jahren für Vertreter der ehemaligen sozialistischen Staaten nicht einfach in Linz zu bestehen. Schon der Wegfall des institutionellen Hinterlandes brachte ein erhebliches handycap mit sich. Dazu kamen zeitbedingt aufgeheizte politische und ideologische Debatten. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Tendenz zur Abrechnung noch durch die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquetekommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" und die damit verknüpften politischen Vorgaben verstärkt. Das bekamen auch die Vertreter der Historischen Kommission der PDS zu spüren. Themen wie "Quellen der Geschichtsschreibung zur Arbeiterbewegung nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus" 1996 oder "Erinnerung an Diktatur und Verfolgung im internationalen Vergleich" 2000 luden regelrecht zur Konfrontation ein. Es waren u. a. der Mitbegründer der ITH Herbert Steiner und Friedel Garscha (Österreich), Lisa Abendroth, Susanne Miller und Henryk Skrzypczak (Deutschland), Jánosz Jemnitz (Ungarn) sowie Kollegen aus den skandinavischen Ländern die Ausgrenzungsversuchen demonstrativ entgegentraten.
Mitglieder der Historischen Kommission haben mehrfach mit Referaten und Diskussionsbeiträgen zum Gelingen der Linzer Konferenzen beigetragen. So Stefan Bollinger 1998 zum Widerhall des Prager Frühlings 1968 in der DDR und 2004 zum Sozialstaat DDR, Karl-Heinz Gräfe 1999 zum Reformkommunismus in Osteuropa und 2006 zur Wiedergeburt rechtsextremer Ideologien und Bewegungen in Osteuropa seit 1989, Günter Benser und Jürgen Hofmann 2003 zu den langen Wellen der Globalisierung, Jürgen Hofmann 2006 zu Arbeitermilieu und Rechtsextremismus, Mario Kessler 2010 zur Historiographie der Arbeiterbewegung als Erinnerung für die Zukunft und Jörg Roesler 2012 zum Spannungsverhältnis zwischen den Geboten proletarischer Arbeitsmoral und den Ansprüchen einer sozialistischen Leistungsgesellschaft. Alle diese Beiträge sind in den ITH-Tagungsberichten (den Sammelbänden zur jeweiligen Tagung) erschienen.
Der Sprecher der Historischen Kommission gehörte den Vorbereitungsgruppen für die Linzer Konferenzen 2002, 2004, 2010 und 2012 an. Auf diesen Konferenzen standen die Themen
- Sexualität, Unterschichtenmilieus und ArbeiterInnenbewegung,
- die Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme,
- der Platz der Arbeiterbewegung in globalen Erinnerungsprozessen sowie
- der Anteil der Arbeiterbewegung an sozialen und kulturellen Entwicklungen
zur Diskussion. Von ihm wurde auch die Konferenz "ArbeiterInnenbewegung und Rechtsextremismus" im Jahre 2006 vorbereitet, geleitet und der dazu gehörende Konferenzband herausgegeben. Mitglieder der Historischen Kommission unterrichten darüber hinaus durch Konferenzberichte im Neuen Deutschland und in Fachzeitschriften die interessierte Öffentlichkeit über das Geschehen in Linz.
Durch Vermittlung der Historischen Kommission ist es in den zurückliegenden Jahren gelungen, junge Nachwuchswissenschaftler für die ITH und ihre Linzer Konferenzen zu interessieren. Diese Werbung muss weitergeführt werden. Institutionell sind Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung eher rückläufig. Umso mehr bedarf es Personen, die sich dieses Gegenstandes auch künftig annehmen und in einem internationalen Netzwerk Austausch und Unterstützung finden.
Die ITH hat sich von einer Ost-West-Begegnung zu einer mehrere Kontinente einschließenden und sie übergreifenden Plattform entwickelt. Dementsprechend nehmen globale Prozesse und globale Betrachtungen neben der Ausweitung auf soziale Prozesse und Bewegungen einen großen Raum ein. Das ist zu begrüßen und hilft frühere enge, auf europäische Erfahrungen ausgerichtete Sichten zu überwinden. Dennoch sollte m. E. ebenfalls eine qualitativ neue Verknüpfung mit politischer Geschichte angestrebt werden, auch wenn diese bei manchem konzeptionell tonangebenden Historiker als veraltet bewertet wird. Soziale Prozesse von politischen zu trennen produziert zweifelsohne neue eingeschränkte Sichten, die eigentlich überwunden werden sollen. Geschichte ist und bleibt ein Politikum - was weniger einen Makel als vielmehr eine Verantwortung begründet.