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Die Märzkämpfe 1920 – Forschungsstand und Desiderate

Einführung von Dr. Ronald Friedmann in die Diskussion auf der – abgesagten (!) – Tagung der Historischen Kommission am 14. März 2020

Aktueller Forschungsstand

Die Zahl der neuen Publikationen zum Kapp-Lüttwitz-Putsch und zur Geschichte seiner Niederschlagung aus Anlass des 100. Jahrestages ist überschaubar. Grundlegend neue Erkenntnisse sind nicht hinzugekommen. Jedoch haben die verschiedenen Autoren, auf die ich im Folgenden hinweisen werde, dem Kenntnisstand – wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße – neue Akzente und Details hinzugefügt. Dabei spielt auch, wenn auch nicht vorrangig, ein Konzept eine Rolle, das bereits in Zusammenhang mit dem 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs und dem 100. Jahrestag der Novemberrevolution  insbesondere durch das Buch von Mark Jones[1] in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt ist: Geschichte als Geschichte von Gewalt.

An erster Stelle ist das Buch von Klaus Gietinger zu nennen, das im Februar erschien und das er schlicht und ergreifend »Kapp-Putsch« genannt hat.[2] Dies ist nicht der Ort für eine »übliche« Rezension, ich mache es deshalb kurz: Dieses Buch wird aus meiner Sicht für lange Zeit – zumindest aus linker Perspektive – der »Klassiker« zur Geschichte des Kapp-Lüttwitz-Putsches und seiner Niederschlagung sein. Wer sich mit dem Thema befasst, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen. Sehr, sehr lesenswert.

Zu den zahlreichen regionalgeschichtlichen Publikationen zum Kapp-Lüttwitz-Putsch, die – man kann das tatsächlich so sagen – im letzten halben Jahrhundert entstanden sind, ist Ende vergangenen  Jahres ein weiteres kleines Buch hinzugekommen, das allerdings von besonderem Gewicht ist, weil es sich sehr gründlich mit einer Region befasst, die im März 1920 im Mittelpunkt der bewaffneten Kämpfe stand: Rainer Pöppinghege schreibt über »Kapp-Putsch und Gegenbewegung an Ruhr und Lippe 1919/20«, wie es im Untertitel heißt. Ich mache es mir an dieser Stelle wiederum einfach und zitiere den Rücktitel: »Rainer Pöppinghege bündelt die ideologisch aufgeladene Gewaltgeschichte im Westen und verknüpft sie mit den Geschehnissen im Reich. Nicht nur das Ruhrgebiet steht dabei im Fokus – der Autor richtet seinen Blick auch auf die scheinbar ruhigeren Regionen und den Gegensatz zwischen Stadt und Land.«[3]

Und es gibt es eine weitere regionalgeschichtliche Untersuchung: Bei Hinstorff in Rostock ist ebenfalls im letzten Jahr der Titel »Der Kapp-Putsch in Mecklenburg« von Bernd Kasten erschienen. Hier ist der Hinweis wichtig, dass der örtliche Putschistenführer kein Geringerer als Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck war, der vormalige Chef der »Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika«, ein berüchtigter Kriegsverbrecher.[4]

Angekündigt, aber noch nicht veröffentlicht, ist ein Buch von Bernd Langer, das im Mai im Unrast Verlag erscheinen soll: »Kapp-Putsch und antifaschistischer Widerstand. Deutschland 1919–1921«.[5] In der Verlagsankündigung wird auf einen Aspekt verwiesen, der durchaus Beachtung und weitere Untersuchungen verdient: Der Kapp-Putsch markiere »den Übergang der nationalen Rechten der Wilhelminischen Zeit zum späteren Nationalsozialismus. Die Bewegung«, so im Text weiter, »entstammt dem Bürgertum und stützt sich noch auf die alten Eliten des Kaiserreichs; ihre Akteure treten aber bereits mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm auf und sehen sich als Vorreiter der ›Volksgemeinschaft‹.« Wobei der Begriff »Volksgemeinschaft« als Verkürzung oder auch Synonym für »Faschismus« aus meiner Sicht völlig ungeeignet ist. Doch dazu mehr, wenn das Buch da ist.

Eher ein Kuriosum als eine wissenschaftlich relevante Arbeit ist eine Publikation, die seit Dezember 2019 auf dem Markt ist und vor allem wegen ihres Verfassers Aufmerksamkeit verdient: Joachim-Friedrich Kapp, der Urenkel des Putschisten, ein Mediziner und inzwischen fast achtzig Jahre alt, hat ein kleines Buch mit dem Titel »1918-1920. Die Umsturzzeiten in der frühen Weimarer Republik« verfasst.[6] Er steht dem Wirken seines Vorfahren sehr distanziert und kritisch gegenüber. Eigene Forschungen sind ihm nicht nachzuweisen, er hat vielmehr zusammengefasst, was er bei Dritten gefunden hat. Gelegentlich zitiert er aus Unterlagen aus einem »Privatarchiv«, aber – soweit ich das überblicke – sind das alles Dokumente, die auch in öffentlichen Archiven frei verfügbar sind.

Und schließlich habe ich noch eine Publikation aus dem Gerhard-Schepper-Verlag in Münster vom März 2020 gefunden, bei der der Verleger zugleich der Herausgeber ist: »Zerschlagung der Linken - Aufstieg der Rechten: Wie der Kapp-Putsch die Arbeiterbewegung und die Republik veränderte«.[7] Ich habe das Buch noch nicht in der Hand gehabt, bin aber skeptisch. Denn in der Verlagsankündigung wird die allgemein bekannte und akzeptierte Tatsache, dass »die Arbeiter, nachdem sie die Republik vor dem Militärputsch gerettet hatten, größtenteils von eben diesen Putschisten zusammengeschossen wurden«, als neue Erkenntnis verkauft, die mit »bisher kaum bekannten Fakten« belegt werde.[8]

Noch zwei Hinweise pro domo.

Erstens. Mario Hesselbarth hat eine Broschüre über die Märzkämpfe 1920 in Thüringen geschrieben. Allerdings ist die Rosa-Luxemburg Stiftung Thüringen bisher noch nicht in der Lage gewesen, die Broschüre auch zu drucken.

Zweitens hat die »Helle Panke« in Berlin am 4. März 2020 eine Halbtageskonferenz zum Thema »Nur eine Episode? Das gemeinsame Handeln von Linken und Demokraten gegen den Kapp-Putsch 1920« durchgeführt. Dort haben u.a. Stefan Bollinger, Ronald Friedmann und Mario Hesselbarth gesprochen. Die »Helle Panke« will »möglichst bald« alle Konferenzbeiträge in einer Broschüre in der Reihe »Pankower Vorträge« veröffentlichen.

Aktuelle fremdsprachige Veröffentlichungen habe ich nicht finden können. Ich will das nicht weiter kommentieren.

Es sei aber noch darauf hingewiesen, dass im selbsternannten »Internet Archive« unter www.archive.org verschiedene zeitgenössische Publikationen, also aus der Zeit unmittelbar nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch, als durchsuchbare PDF-Dateien verfügbar sind, die dem Gesamtbild interessante Details hinzufügen können. Ich nenne, ohne ins Detail zu gehen:

  • Karl Brammer, Fünf Tage Militärdiktatur. Dokumente zur Gegenrevolution unter Verwendung amtlichen Materials, Verlag für Politik und Wirtschaft, Berlin 1920.
  • Emil Julius Gumbel, Vier Jahre politischer Mord, Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin 1922
  • Georg Maercker[9], Vom Kaiserheer zur Reichswehr. Geschichte des freiwilligen Landesjägerkorps. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Revolution, Verlag von K. F. Koehler, Leipzig 1921
  • Und nicht zuletzt: Gustav Noske, Von Kiel bis Kapp. Zur Geschichte der deutschen Revolution, Verlag für Politik und Wirtschaft, Berlin 1920.

Was leider auf diesem Weg noch nicht verfügbar ist, sind zwei Titel, die ich dennoch kurz nennen will:

  • Franz Krüger[10], Diktatur oder Volksherrschaft? Der Putsch vom 13. März 1920. Sein Verlauf und seine Lehren, Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1920.
  • Carl Severing, 1919/20 im Wetter- und Watterwinkel. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Buchhandlung Volksmacht, Bielefeld 1927.

Insbesondere dem Text von Franz Krüger habe ich für meine eigene Arbeit interessante Details zur Rolle und zur Politik der SPD in den Tagen des Kapp-Lüttwitz-Putsches entnehmen können.

Desiderate

Ich möchte drei Themenbereiche nennen, in denen der Forschungsstand aus meiner Sicht zumindest unbefriedigend ist. Zwei betreffen die KPD, einer die USPD.

Erstens: Die Haltung der KPD zum Generalstreik. Zumeist wird unter Berufung auf einen Bericht von Jacob Walcher aus dem Jahre 1926 behauptet, dass der Aufruf der KPD vom 13. März 1920 gegen die Teilnahme am Generalstreik aus der Tatsache resultierte, dass nur vier Personen an der Erarbeitung des Aufrufes beteiligt waren – August Thalheimer, Wilhelm Pieck, Ernst Reuter, damals noch Friesland, und eben Jacob Walcher, der sich gegen den Aufruf ausgesprochen haben will.[11] Vergleicht man den Aufruf jedoch mit anderen öffentlichen Äußerungen der KPD-Spitze seit Dezember 1919, ich verweise dabei insbesondere auf einen Bericht in der »Roten Fahne« vom Dezember 1919 über zwei öffentliche Reden von Paul Levi und Wilhelm Pieck[12], so wird deutlich, dass die Position »Das Proletariat wird keinen Finger rühren für die demokratische Republik, die nur eine dürftige Maske der Diktatur der Bourgeoisie war«[13] tatsächlich der damaligen Haltung der KPD entsprach und der Aufruf vom 13. März 1920 keineswegs ein »Versehen« war. Ausdruck einer neuen Positionierung war dagegen der Aufruf zugunsten des Generalstreiks vom 14. März 1920.

Zweitens: Die Frage der Arbeiterregierung. Der Vorschlag der USPD vom 17. März 1920 zur Bildung einer Arbeiter- oder »rein sozialistischen Regierung« zwang die KPD zu einer Positionierung. In einer Erklärung vom 23. März 1920 sicherte sie einer solchen Regierung »loyale Opposition« zu. Der Parteiausschuss und der Parteitag in Berlin Anfang April 1920 wiesen diese Haltung als »opportunistisch« zurück. Das Thema »KPD und Arbeiterregierung« wird in der Literatur fast ausschließlich im Hinblick auf das Jahr 1923 und die Entwicklungen in Sachsen und Thüringen behandelt, eine Untersuchung der Genese des Konzepts »Arbeiterregierung« seit 1920 (oder früher) fehlt allerdings. Ich habe lediglich einen Aufsatz in der »BzG« aus dem Jahre 2006 gefunden, der aber weniger den praktisch-politischen als vielmehr den staatstheoretischen Aspekt in den Mittelpunkt stellt.[14]

Drittens: Wiederum die Frage der Arbeiterregierung, diesmal bei der USPD. Die Spitze der USPD vollzog innerhalb weniger Tage eine dramatische Änderung ihrer Position. Am 13. März 1920 sollte die Arbeiterregierung noch »ein Instrument der Diktatur des Proletariats« sein, was es der Führung der SPD erlaubte, die Bildung einer solchen Arbeiterregierung umgehend abzulehnen.[15] Am 17. März 1920 nahm die Spitze der USPD dann eine ausgesprochen pragmatische Position ein und folgte dem Vorschlag Carl Legiens und der Gewerkschaften, womit der – etwas flapsig gesagt – »Schwarze Peter« wieder bei der SPD lag, die unbedingt an der längst gescheiterten und seitens der bürgerlichen Parteien de facto bereits aufgekündigten »Weimarer Koalition« festhalten wollte. Auch hier wären weitere Forschungen wünschenswert, zumal die Geschichte der USPD im Jahre 1920 vor allem unter dem Aspekt der Diskussion um Lenins berühmt-berüchtigte »21 Bedingungen« und den Zusammenschluss des linken Flügels der USPD mit der KPD im Dezember 1920 behandelt wird.

Anmerkungen

[1] Mark Jones, Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik. Propyläen Verlag, Berlin 2017.

[2] Klaus Gietinger, Kapp-Putsch. 1920 - Abwehrkämpfe - Rote-Ruhrarmee, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2020.

[3] Rainer Pöppinghege, Republik im Bürgerkrieg. Kapp-Putsch und Gegenbewegung an Ruhr und Lippe 1919/20, Ardey – Verlag für Westfalen, Münster 2019.

[4] Bernd Kasten, Der Kapp-Putsch in Mecklenburg. Lokale Ereignisse und regionale Folgen eines Angriffs auf die Demokratie, Hinstorff Verlag, Rostock 2019.

[5] Bernd Langer, Kapp-Putsch und antifaschistischer Widerstand. Deutschland 1919–1921, Unrast Verlag, Münster 2020.

[6] Joachim-Friedrich Kapp, 1918-1920. Die Umsturzzeiten in der frühen Weimarer Republik, tredition, Hamburg 2019.

[7] Gerhard Schepper (Hg.), Zerschlagung der Linken - Aufstieg der Rechten. Wie der Kapp-Putsch die Arbeiterbewegung und die Republik veränderte, Gerhard-Schepper-Verlag, Münster 2020.

[8] www.gerhard-schepper.de/sites/verlag.htm, 6. März 2020, 12.20 Uhr.

[9] Im März 1920 Befehlshaber des Wehrkreiskommandos IV in Dresden.

[10] Mitglied der Nationalversammlung Vorsitzender der Berliner SPD.

[11] Vgl. dazu: Jacob Walcher, Die Zentrale der KPD (Spartakusbund) und der Kapp-Putsch, in: Die Kommunistische Internationale, Moskau, 1926, Heft 4, S. 390-411, hier: S. 392 f.

[12] Vgl. dazu: Die Rote Fahne, Berlin, 15. Dezember 1919.

[13] Die Rote Fahne, Berlin, 14. März 1920.

[14] Vgl. dazu: Riccardo Bavaj, Zwischen bürgerlicher Demokratie und Proletarierdiktatur. Das Konzept der Arbeiterregierung im staatstheoretischen Diskurs der KPD in der Frühphase der Weimarer Republik (1920–23), in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 2006, Heft 1, S. 91-112.

[15] Vgl. dazu: Dieter Engelmann und Horst Naumann, Zwischen Spaltung und Vereinigung. Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands in den Jahren 1917-1922, Berlin 1993, S. 145 f.