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Der 8. Mai 1945

Stellungnahme des Sprecherrates der Historischen Kommission der LINKEN zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus

Die Öffentlichkeit sollte aufmerken, wenn die für die Bundesrepublik Deutschland vor dreißig Jahren von Bundespräsident Richard von Weizsäcker formulierte Einsicht, dass der 8. Mai 1945 unbeschadet unterschiedlicher und oft schmerzlicher individueller Erinnerung zugleich ein Tag der Befreiung war, relativiert oder erneut in Frage gestellt wird. Die Bundesrepublik steht hier in einer besonderen Verantwortung.

Der Sprecherrat der Historischen Kommission der LINKEN erklärt angesichts der gegenwärtig ablaufenden Diskussionen:

Der Sieg über den deutschen Faschismus und die Befreiung Europas bleibt eine Leistung aller Verbündeten in der Antihitlerkoalition. Nur in einer gemeinsamen Anstrengung konnte die menschliche Zivilisation vor einem Terrorregime gerettet werden, das vor keinem Verbrechen zurückschreckte. Die Bedrohung führte Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und Menschen unterschiedlichster Weltanschauung und politischer Orientierung zusammen. Linke, Kommunisten standen in vorderster Front und konnten doch nicht allein erfolgreich sein, brauchten breiteste Bündnisse. Erst die gemeinsame Abwehr der existentiellen Gefahr setzte die Völker wieder in die Lage, um zivilisatorische Perspektiven zu konkurrieren. Das heutige Europa ist ohne den Sieg über den deutschen Faschismus, seine Verbündeten und Vasallen nicht denkbar.

Die Hauptlast dieses Kampfes trug die Sowjetunion. Im Osten bahnte sich die Niederlage der deutschen Wehrmacht an. Die Distanzierung vom stalinistischen System, hebt die Leistung, die die Sowjetunion für die Befreiung der Völker Europas und Asiens erbrachte, nicht auf. Den Kämpfern der Roten Armee gebührt für den unter großen Opfern errungenen Sieg unser Respekt. Dazu hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Nachbarschaftsvertrag mit der UdSSR 1990 verbindlich verpflichtet.

Zu beobachten ist, dass der am Ende des Krieges für Zeitgenossen noch offensichtliche Zusammenhang von Kapitalismus und NS-Herrschaft verwischt wird. Die besondere Verantwortung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Führungsgruppen des Deutschen Reiches für NS-Regime und Krieg passen nicht in das Bild einer Gesellschaft, die sich für alternativlos hält. Ebenso wenig das Versagen der Eliten in West- und Osteuropa 1939/40. Zu erinnern ist, dass in vielen befreiten Staaten Europas, auch in Deutschland, sich nach Kriegsende der Wiederaufbau mit Versuchen basisdemokratischer, oft prosozialistischer Erneuerung der Gesellschaften verband. Soviel Eigenständigkeit mochten die Besatzungs- und neuen Hegemonialmächte nicht. Der beginnende Kalte Krieg beendete diese Experimente.

Die Landung der westlichen Alliierten in der Normandie am "D-Day" trug maßgeblich zur Befreiung Europas bei. Die verdiente Würdigung dieser militärischen Leistung sollte jedoch nicht dazu benutzt werden, die zweite Front zur ersten zu machen. Auch die These, die Befreiung Europas habe dort ihren Anfang und erst mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Einflussbereichs 1989/90 ihre Vollendung gefunden, geht an der historischen Wirklichkeit dieser Jahre vorbei. Das Ergebnis der Systemauseinandersetzung am Ausgang des 20. Jahrhunderts soll rückwirkend für 1944 reklamiert werden.

Der Sieg über den Faschismus in Europa begünstigte den Sieg über den japanischen Imperialismus, an dem die Sowjetunion ebenfalls wichtigen Anteil hatte. In Asien erstarkten die antikolonialen Befreiungsbewegungen. Ganze Völker befreiten sich in den folgenden Jahrzehnten in Asien und Afrika aus kolonialer Unterdrückung und betraten als Akteure die weltpolitische Bühne. Die Vereinten Nationen (UNO) sind ebenfalls ein Resultat der Erfahrungen mit der zivilisatorischen Bedrohung der Jahre 1939 bis 1945. Sie sollte dauerhaft den Weltfrieden sichern. Eine Aufgabe, die erneut beängstigend aktuell ist.

Der Blick auf 1945 ist mehr als eine historische Rückschau. Er schließt Fragen ein, die aktuell bleiben und erneut sind. Rechtsextremismus, Nationalismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Hegemonieansprüche sind keine Themen der Vergangenheit. Von Schuld kann man sich nicht freikaufen. Trotzdem darf die Anerkennung und Entschädigung der letzten noch lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen nicht verschleppt werden, wie das zuvor schon bei Zwangsarbeitern und Deserteuren praktiziert wurde. Deutsche Verantwortung endet nicht.

Die vorliegende Erklärung stützt sich auf Ausarbeitungen von Stefan Bollinger und Jürgen Hofmann